Schulhündin Fanny

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Als Klassenlehrerin unterrichte ich in Regensburg an einer Grundschule. Seit November 2005 begleitet mich meine Boxerhündin Fanny an vier Tagen in die Schule.

Dabei wird sie überwiegend in meiner, jedoch auch in anderen Klassen, sowie bei einzelnen Schülern eingesetzt. Einen Tag in der Woche ist Fanny außerdem in einer 7. Klasse einer Förderschule 4 Stunden zu Besuch. Mit Fanny habe ich eine wertvolle Unterstützung an der Seite, eine Assistentin, von deren pädagogischem Potential ich tagtäglich verblüfft und begeistert bin.

Warum?

Der Beginn ihrer Arbeit als Schulhündin stand unter ungünstigen Voraussetzungen. Obwohl sie die Begleithundeprüfung abgelegt und vom Deutschen Institut für Hunde-Mensch-Beziehung als absolut schulhundtauglich befunden wurde, standen viele Eltern, fast der gesamte Elternbeirat und ein großer Teil des Kollegiums dem Schulhundprojekt ablehnend gegenüber. Weil ich aber in meinem tiefsten Inneren überzeugt war, dass diese Hündin den Schülern gut tun würde, habe ich allen Widerständen zum Trotz für meine Idee gekämpft: mich beim Ministerium, beim Schulamt, beim Kollegium und beim Elternbeirat durchgesetzt und eine dreimonatige Probezeit für Fanny als Schulhund genehmigt bekommen.

Im November 2005 betrat „der hässliche, geifernde Kampfhund“ das erste Mal das Schulhaus.

Das Unglaubliche geschah: innerhalb weniger Wochen hat diese Hündin durch ihr ungeheuer sanftes, liebenswertes, ausgeglichenes Wesen zuerst die Herzen der Kinder erobert und sich dann peu a peu in die Herzen aller geschmuggelt: von den eingefleischtesten hundefeindlichen Kollegen über die Rektorin, den Eltern bis hin zum Hausmeister. Kollegen bitten um einen Hundebesuch in ihrer Klasse, die Eltern stiften Spielzeug bis hin zur Kuschel-Couch, beim Hausmeister liegt immer ein Stück Wurst bereit.

Wie sieht Fannys Arbeit aus?

Am Morgen, wenn ich mit ihr den Schulhof betrete, scharen sich die meisten Kinder um uns. Sie möchten Fanny streicheln und ihr Guten Morgen sagen. Nicht alle. Einige Schüler stehen etwas verloren in den Ecken herum. Ihre Körperhaltung ist ablehnend, ihre Mienen verschlossen.. Es gibt sie auch an meiner Schule, die verhaltensauffälligen, schwierigen, aggressiven Kinder. Kein Tag, an dem sie nicht Ablehnung erfahren, sei es von Lehrern oder Mitschülern. Außenseiter. Aber Fannys Zuneigung macht auch vor diesen Kindern nicht halt. Wedelnd geht sie auf jedes einzelne von ihnen zu und begrüßt es. Und zeigt ihm: „Du, ich freu mich, dich zu sehen. Schön, dass es dich gibt.“ Dieser Hund durchbricht ihre mühsam errichtete Barriere, drückt sich an sie, ermuntert sie zum Streicheln und zaubert ein Lächeln auf ihr Gesicht.


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Die Mehrzahl meiner Schüler stürmt fröhlich und gut gelaunt ins Klassenzimmer.

Aber nicht alle. Manche Kinder bedrücken Sorgen und Ängste. Das kann ein elterlicher Streit am Morgen gewesen sein, die Oma im Krankenhaus oder eine bevorstehende Probe. Diese Kinder zieht es geradezu magisch auf Fanny’s Couch. Sie schmiegen sich an den Hund, umarmen ihn, atmen seinen Geruch ein. Auch Fanny liegt ganz still, zappelt nicht. Die Kinder dürfen bei Fanny bleiben, solange sie möchten. Irgendwann, das können ein paar Minuten sein oder eine Viertelstunde, stehen sie auf und gehen an ihren Platz. Sind ihre Sorgen weggeblasen? Ist der Kummer kleiner, erträglicher geworden? Ich weiß es nicht. Aber ihre veränderte Körperhaltung und ihre Mimik verraten mir, dass es so sein muss.


Der Leistungsdruck an unseren Schulen ist immens geworden. Gerade in der 3. und 4. Jahrgangstufe, in der ich unterrichte, nimmt das ungeahnte Formen an. Der Übertritt an eine weiterführende Schule muss auf jeden Fall geschafft werden. Die Angst der Eltern, der Konkurrenzkampf zwischen den Schülern und auch der Druck, der auf den Lehrern lastet, das alles erzeugt ein Klima der Angst. Zum Beispiel die Angst, ganz alleine vorne an der Tafel etwas rechnen zu müssen. Sich vor der Klasse zu blamieren. Das Herz fängst zu rasen an, die Hände werden schweißnass. Aber halt! Man ist gar nicht allein. Man darf Fanny mit zur Tafel nehmen. Sie steht oder sitzt daneben, eine Hand liegt auf ihrem Körper. Aufmunternd schleckt sie über die Hand des Kindes. „Komm, das schaffen wir schon“ scheint sie zu sagen. Und – oh Wunder – der Herzschlag beruhigt sich, die Nervosität und die Angst nehmen ab. Auf einmal kann man wieder klar denken. Und die Rechenaufgabe bewältigen.


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Tumult nach der Pause: zwei Jungen haben sich geprügelt. Es ist müßig, nach der Ursache des Streits zu fragen, eine winzige Kleinigkeit kann der Auslöser gewesen sein. Wie zwei Kampfhähne stehen sich die zwei gegenüber. Ich schicke sie auf die Couch, zwischen ihnen nimmt Fanny Platz. Jeder darf sprechen. Da meine Schüler, wenn Fanny zwischen ihnen sitzt, ein offensichtlich unwiderstehlicher Zwang überfällt, sie zu streicheln, tun sie es auch jetzt. Sie fahren herunter. Sie schreien sich nicht mehr an, reden leiser. Sie entspannen sich. Spätestens, wenn sich ihre Hände berühren, fangen sie zu grinsen an. Über Fanny hinweg reichen sie sich die Hände. Die Situation ist bereinigt. Friedlich gehen sie zu ihrem Tisch.


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Der Gong zur kleinen Pause ertönt. Bewegung ist angesagt. Ein Spiel mit dem Luftballon steht ganz vorn auf der Hit-Liste. Und natürlich ist auch hier Fanny mit von der Partie.

Eine Handvoll Kinder stellen sich im Kreis auf, Fanny befindet sich in der Mitte. Dann wird der Luftballon von einem zum andern geschupst. Fanny versucht auch, den Ballon anzustupsen. So, dass er wieder in Richtung der Kinder fliegt. Manchmal sinkt das Flugobjekt zu Boden, dann geht das Gekreische los. Denn Fanny hat die Angewohnheit, den Luftballon zu zerbeißen und dann aufzufressen. Die Stimmung ist ausgelassen. Doch bei all dem kindlichen Übermut , der kindlichen Bewegungsfreude und dem Drang, den Luftballon zu ergattern, verläuft dieses Spiel nicht unkontrolliert. Es fasziniert mich zu sehen, wie rücksichtsvoll sich die Schüler verhalten. Sie nehmen Rücksicht auf Fanny und dadurch auf alle Spielpartner. Rücksicht zu nehmen, das ist ein Wert, der in unserer Gesellschaft oft verloren gegangen scheint. Durch das Spiel mit Fanny wird hier etwas angebahnt.


Es wird spannend: ich gebe eine Probe heraus. Wie immer ist von der Note 1 bis 6 alles dabei. Gespannt, nervös, warten die Kinder, bis ich sie aufrufe. Bei Elke (Name geändert)habe auch ich einen Kloß im Bauch. Ich weiß, gleich wird sie wieder bitterlich zu weinen anfangen. Mit einer 3 ist die Probe zwar gar nicht so schlecht ausgefallen, aber Elkes Eltern möchten sie aufs Gymnasium schicken und da ist schon eine 3 zu schlecht. Als das Mädchen die Note sieht, geht es schluchzend zu seinem Platz zurück. Obwohl ihre Banknachbarin Elke tröstet, weint sie hemmungslos. Wir alle in der Klasse leiden unter dieser Situation. Dann geschieht etwas für mich völlig Unerwartetes: Fanny erhebt sich aus ihrem Körbchen bei meinem Pult und geht zuElke, die wie ein Häufchen Elend auf ihrem Platz sitzt, die Hände vors Gesicht geschlagen. Sie legt ihren Kopf auf Elkes Schoß, schaut sie unentwegt an und wedelt. Keiner spricht mehr. Alle schauen gespannt auf die Szene. Elke reagiert nicht. Sie hat sich richtig in eine Hysterie hineingesteigert. Alle ihre Freundinnen haben bessere Noten. Fanny steht da, den Kopf im Kinderschoß und wedelt. Nach einer gefühlten Ewigkeit blinzelt Elke hinter den Fingern durch, schnieft und streichelt Fanny. Sie beugt sich und eine feuchte Zunge schleckt ihre Tränen weg. Elke schaut mich an. „Wir können weitermachen“ sagt ihr Blick.


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Schule ist Lernzeit. Aber nicht nur die Kinder müssen viel lernen, sondern auch Fanny. Im Laufe der letzten Jahre hat sie schon viele Tricks gelernt: Hallo sagen, Winke winke machen, beleidigt-sein spielen, einen Ball balancieren, rückwärts einparken, die Rolle machen, Hefte einsammeln, die Tür schließen, der Sekretärin eine Nachricht bringen und Klavier spielen. Die Einarbeitung des Kunststücks übernehme ich. Aber genauso, wie man das Einmaleins immer wiederholen muss, müssen auch diese Kunststücke wiederholt werden. Das ist Aufgabe der Kinder. Alle, der Hund und die Kinder, sind mit Feuereifer dabei. Auf einmal dürfen die Kinder Lehrer sein, die Rolle tauschen. Gerade für meine lernschwachen Schüler ist das ein erhebendes, Selbstvertrauen gebendes Gefühl.


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Lange habe ich nach einem Kunststück gesucht, bei dem alle Schüler, nicht immer nur wenige, mitmachen können. Nun haben wir ihn: den Klassenslalom. Fanny muss durch den ganzen Kreis von 24 Kindern einen Slalom gehen. Das ist schwer. Das erfordert Konzentration und Disziplin bei allen Beteiligten. Die Kinder müssen Fanny durch Locken und ihre Körpersprache dazu bringen, zügig, ohne ein Kind auszulassen, durchzugehen. Sobald auch nur einer herumhampert oder nicht aufpasst, klappt es nicht. Aber alle strengen sich an. Weil sich Fanny anstrengt. Alle erleben: wir sind ein Team. Und in einer Klasse, die sich als Team fühlt, herrscht ein gutes Klima.

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Man könnte meinen, dass Schulhundsein eine lockere, gemütliche Sache mit vielen Leckerlies und Streicheleinheiten ist. Das ist es nicht. Hier passieren viele Dinge, die Hunden so gar nicht liegen. Es ist laut. Türen knallen, Stühle fallen vom Tisch, Sirenen(Feueralarm) gehen los. Ein vielstimmiges Kindergeheul(hitzefrei) lässt die Wände erzittern. Schon allein das erfordert ein solides Nervenkostüm. Ständig beugen sich Kinder über den Hundekopf und tätscheln ihn. So oft ihnen auch erklärt wird, dass das einem Hund nicht gefällt, sie tun es automatisch. Die Streicheleinheiten fallen zum Teil stürmisch aus, oft sind die Zärtlichkeitsbekundungen massiv. Manchmal wird man von Frauchen in eine fremde Klasse geführt und muss eine gewisse Zeit dableiben, während es selber wieder geht. Kaum hat man ein Spielzeug ergattert, wird es einem schon wieder aus dem Fang genommen. Aus allen Schultaschen duftet es höchst verführerisch und man wird nie, nie aufgefordert, mal genauer nachzuschauen. Aus Versehen wird einem schon mal auf den Schwanz getreten.

Kann man das seinem Hund zumuten?

Darf man das seinem Hund zumuten?


Als Lehrer ist man mitverantwortlich für das Wohlergehen seiner Schüler. Für das Wohlergehen seines Hundes ist man ausschließlich verantwortlich. Es erfordert einen hohen Grad an Achtsamkeit, Stresssymptome seines Hundes rechtzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren. Nur dann kann der Einsatz eines Hundes in der Schule gerechtfertigt, sinnvoll und positiv sein.

Für meine Schüler ist Fanny von unschätzbarem Wert.

Viele unserer Kinder verlieren den Kontakt zur Natur.

Viele unserer Kinder leiden in ihren Familien an emotionaler Vernachlässigung.

Viele unserer Kinder haben als einzige Spielgefährten einen Computer.

Stress und Notendruck herrschen in unseren Schulen vor.


Und dann ist da ein Hund, der ausnahmslos alle Kinderaugen zum Leuchten bringt.

Der ihnen sein Vertrauen schenkt.

Der sie ein bisschen ihre Sorgen und ihren Kummer vergessen lässt.

Der dafür sorgt, dass es ihnen besser geht.


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