Schulhündin Aina
Uff! So ein Schulhundjob kann manchmal ganz schön schlauchen. Da hilft nur eins: Auszeit nehmen.
Wann fing mein Schulhunddasein eigentlich an? Mal nachdenken. Ähm, ja, vor vielen, vielen Wochen. Ganz klein war ich noch, als ich das erste Mal mit Frauchen in die Schule durfte.
Gut, dass ich immer Fanny an meiner Seite hatte, mein Vorbild, meine Beschützerin und Lehrmeisterin.
Denn so ein Klassenzimmer ist ein aufregender Arbeitsplatz.
herumliegende Pantoffel abschleppen,
Arbeitsmittel bearbeiten
und beim Hausmeister schnorren.
Man kann Kinder zum Lachen bringen,
Tricks mit ihnen lernen,
und manchmal einfach nur chillen.
Nach 41 Schulwochen, einem Lehrgang mit bayrischen Schulhundprofis und einem einwöchigem Erlebniscamp mit meiner Schulklasse wurde ich in einer feierlichen Zeremonie zu Fannys Nachfolgerin ernannt.
Nun bin ich offizieller Schulhund. Ähm. Zu blöd aber auch, dass Frauchen meine Fehltritte als Schnupperpraktikantin in einem Buch aufgeschrieben hat.
Hoffentlich bekommen meine neuen Kinder das Buch nie zwischen die Finger!
Schließlich hab ich mich bei ihnen schon recht gut eingeführt:
Ich bin für sie Mutmacher,
Gesprächspartner,
ein außergewöhnliches Arbeitsmittel,
eine toller Teamplayer
und für manche auch ein Seelentröster.
20. Oktober 2011
Mädchen unter sich
Ich bin ja auch ein Mädchen. Aber dieses Gekichere, Getuschle, Gewispere, das muss man erst mal aushalten. Und die Jungs sind in der Warteschleife. Kein Platz für sie bei meinem Körbchen. Die schotten mich hier echt ab. Manchmal müssen Mädchen einfach unter sich sein.
Ähm, Jungs, jetzt können wir euch auch nicht brauchen. Wir machen grad ein Dreier-Geknuddel. Bitte zurück in die Warteschleife.
27.10. 2011
Blätterkunde
vormittags
Ich lieg in meinem Körbchen und starre zur Couch. Die ist besetzt. Von Fanny. Gefällt mir gar nicht. Was hat die auf meiner Couch zu suchen? Am Ende will sie wieder Schulhund werden?? Mich arbeitslos machen??? „Jetzt reg dich ab“, kommt es da von der Couch, „Frauchen hat mir heute Morgen gesagt, dass ihr einen Unterrichtsgang macht. Da bleib ich natürlich nicht daheim.“ Unterrichtsgang? Find ich toll. Da wird beim Unterricht herumgegangen. Hundedienstkinder, wo bleibt ihr denn? Bitte anleinen!
Hey! Hier liegen aber viele bunte Blätter herum. Fanny sitzt noch da und wartet auf das Freizeichen. Ich warte nicht, denn bei dem Krach kann ich eh nix hören. Ich geh auf Blätterjagd. Die Kinder gehen auch auf Blätterjagd. Sie klauben sie auf, sie heben sie hoch, sie starren sie an und halten sie Frauchen unter die Nase.
Jetzt haben die das ganze Laubdings auch noch ins Klassenzimmer geschleppt. Und was soll ich jetzt damit? Fressen kann man die Blätter nicht und zum Herumschleppen und Draufbeißen sind die Stöckchen viel zu mickrig. Nix für einen Boxer!
nachmittags
Was für eine tolle Beute! Ob ich sie Frauchen bringe? Für den Unterricht? Oder mach ich Kleinholz draus?
Uah! Fanny im Anmarsch.
Nichts wie weg!
Herbstferien 2011
Frauchen, bist du dir da sicher? Keine Kinder in der Schule?
Hey! Fanny hat was entdeckt. Und jetzt geht sie ab.
Nichts wie hinterher!
Die gibt ja mächtig Gas.
Gleich hab ich die Nase vorn.
Uah! Unbekannte Gewässer. Da lass ich ihr gern den Vortritt.
So ein Wettlauf nur wegen einem Haufen Blätter?
Oder ist da doch was versteckt?
Unser längst verloren gegangener Ball!
Schon geklaut.
Also ehrlich, Frauchen! Von mir aus können die Herbstferien gerne noch ein bisschen dauern!
10-11- 2011
Bestanden
Was ist denn mit den Kindern los? Frauchen hat doch keine Leckerlies ausgelegt. Kein Spielzeug versteckt. Sie hat nur jedem Kind ein Blatt in die Hand gedrückt. Und jetzt springen und hopsen sie herum, kreischen und jaulen, als hätten sie sich Hundeflöhe eingefangen. Ich verzieh mich zu Fanny auf die Couch. Die wollte unbedingt mit, weil ihr immer von meiner ruhigen und leisen Klasse vorschwärme. Ganz schön blamiert steh ich jetzt da. “Der Hundeführerschein ist schuld“, sagt Fanny. „So benehmen sich alle, wenn sie ihn bestanden haben. Sogar Frauchen, damals mit mir.“ Mein Frauchen? Hopsend und kreischend? Glaub ich nicht. „Hör zu!“, sagt Fanny streng, „dir wurde ja die Schulhundeurkunde quasi geschenkt. Ich musste mir die hart verdienen. Als ich in deinem Alter war, wurde ich auf Herz und Nieren geprüft. Ganz schön knifflige Tests gab es da, bei denen ich meine Furchtlosigkeit, meine Friedfertigkeit und meine Coolness beweisen musste." Gut, dass sich die Schulhundeführerscheinbesteher inzwischen beruhigt haben. So fällt das Zuhören nicht so schwer.
„Zuerst“, geht die Geschichte weiter, „wurde ich in den Kofferraum von unserm Auto gesteckt. Männer klopften wie blöd an die Windschutzscheibe. Als ob mich so was beeindrucken würde.
Dann mussten Frauchen und ich eine enge Wendeltreppe hinaufsteigen. Pipifax.
Als Nächstes wurde ich an einen Zaun angebunden, Frauchen wurde weggeschickt und statt dessen humpelte eine ganz sonderbare Gestalt mit Schlapphut, schwarzem Umhang und Stock an mir vorbei. Zum Schießen komisch.
Als Nächstes wurde eine ganze Ladung Messer, Löffel und Gabeln vor mich hingeschmissen. Ein nervenzerfetzendes Gescheppere war das vielleicht. Aber ich hab mich schnell wieder beruhigt.
Und zum Schluss gab es einen Stadtgang und Frauchen und ich wurden von komischen Typen angerempelt. Die hatten wahrscheinlich keine Augen im Kopf. Ich hab ihnen kurz meine Zähne gezeigt. Hat der Prüfer aber nicht gesehen.
Dann war allen klar, dass ich in Sachen Schulhund ein Naturtalent bin. Ich hatte bestanden. Frauchen noch nicht. Die musste erst noch einen Haufen Blätter bearbeiten. Die war so was von aufgeregt. Keine Ahnung, warum. Auf Blättter was zu schreiben ist doch ihr Job. Am Ende des ganzen Spektakels bekamen alle Hunde, die bestanden hatten, eine Plakette und ein Leckerli und alle Hundeführer eine Urkunde.“ Fanny grinst. „Die führten sich dann genauso auf wie vorhin deine Schulkinder.“
So knifflige Tests gab’s für die aber nicht. „Aber viele Situationen, in denen sie zeigen mussten, ob sie mit dir richtig und verantwortungsbewusst umgehen“, sagt Fanny. "Frauchen hat genau geguckt,
ob sie dich streicheln, ohne dein Spielzeug wegzunehmen,
ob sie deine eingespeichelten Fressreste wegräumen,
deinen Sabber wegwischen,
dich anleinen können,
dich die Treppe hinunterführen, ohne hinzufallen
und dir dein Geschirr anlegen.
Jedes Hundedienstteam wurde genau beobachtet und jetzt, nach 8 Wochen steht fest: Ja, sie haben den Hundeführerschein bestanden.
07. –11. November 2011
Ainas letzte Schulwoche
Dieses Kapitel, es wird das letzte sein, stammt nicht von Aina, sondern ihrem Frauchen. Warum Aina kein Schulhund mehr ist, wie es dazu kam, möchte ich hier im Schulhundweb erzählen, denn ich denke, dass es doch viele interessieren wird. Nach sechs Jahren endet mein Projekt:
Ich beschreibe die letzte Woche. Es gab kleine Anzeichen, kleine Vorkommnisse, die mir zeigten, dass es unter keinem guten Stern mehr stand.
Montag
Auf der Pinnwand an der Rückseite meines Klassenzimmers hängen 18 Hundeführerscheine. Wie stolz meine Schüler darauf sind. Jeder einzelne von ihnen hatte ihn sich wirklich verdient. Diese Klasse hat das Hunde-Gen, ganz klar. Mit einer Selbstverständlichkeit und einer Freude begegnen sie ihrem Schulhund, wie noch keine Klasse vor ihnen. Überhaupt, dieses Jahr hab ich richtig Glück mit meinen Schülern. Fast lässt mich das vergessen, dass ich dafür eine Handvoll extrem kritischer Eltern im Gepäck habe. Da reichen schon Vorkommnisse, wie ein „Du nervst“ (nach mehrmaligem ungehemmten Dazwischenrufen, wobei keine Aufforderung, sich doch bitte an die Gesprächsregeln zu halten, fruchtete) für eine Beschwerde beim Schulamt. Mein Blick wandert über die Kinder, die an ihren Tischen arbeiten und fällt dann auf Aina, die neben meinem Tisch auf ihrer Decke liegt. Sie ist nicht allein. Zwei Kinder, die mit ihrer Arbeit fertig sind, leisten ihr Gesellschaft. Für einen Augenblick gönne ich mir den Luxus und das tiefe Glück, dieses Bild auf mich wirken zu lassen: Welch Zuneigung und Vertrautheit sind da zu spüren.
Und wieder einmal weiß ich: all die Schwierigkeiten, die Stolpersteine und die Mühe der letzten 6 Jahre waren nicht umsonst.
Nach der Pause werde ich ins Rektorat gebeten. Die Schulleitung teilt mir mit, dass der Ordnungsdienst der Stadt bei ihr vorgesprochen hat. Anwohner des bei der Schule liegenden Parks hätten sich beschwert, dass Aina nach der Schule dort für ein paar Minuten frei laufen darf. Ich werde mit den Worten, künftig meinen Hund doch bitte an der Leine zu halten, entlassen. Ich bin geschockt. Nach 6 Stunden Schulhunddienst im Klassenzimmer, den Großteil der Zeit im Körbchen liegend, ist Aina geradezu selig, sich nach Unterrichtsschluss ein paar Minuten austoben zu dürfen.
Immer befinden wir uns in einem entlegenen Teil des Parks, auf dem weder Spaziergänger noch andere Hundebesitzer zu finden sind. Meinem jungen Hund dabei zuzusehen, wie er ausgelassen herumtobt, ist nicht nur für ihn, sondern auch für mich der beste Augleich nach sechs Stunden Schule. Sechs Jahre lang hatte sich nie jemand daran gestört. Nun hat uns der Ordnungsdienst auf dem Kicker. Bedrückt fahre ich heim.
Dienstag
Ein Elternpaar ist in meiner Sprechstunde. Es ist sehr enttäuscht, dass die Tochter in der 3. Klasse leistungsmäßig abgefallen ist: Aus Einsern und Zweiern wurden Dreier, auch ein Vierer ist dabei. Ich weiß, dass diese Noten dem tatsächlichen Leistungsstand der Schülerin entsprechen, dass sie in der 2. Klasse zu gut bewertet wurde. (O-Ton der vorherigen Lehrerin: „Ich kann sie doch in der 2. Klasse noch nicht mit schlechten Noten konfrontieren.“
Aber wie das den Eltern erklären? Sie möchten unbedingt, dass ihre Tochter auf das Gymnasium geht. Während ich noch behutsam nach den richtigen Worten suche, meint der Vater: „Der Hund ist schuld. Meine Tochter sagt, dass er die ganze Zeit während des Unterrichts im Klassenzimmer herumläuft, sie sich nicht konzentrieren kann und durch den Hund abgelenkt ist.“ Ich bin sprachlos. Bei dem Druck, den die ehrgeizigen Eltern auf ihr Kind ausüben, ist mir schon klar, warum es nach Ausreden sucht. Aber nun soll Aina als Sündenbock herhalten. Ich erkläre, dass das schlichtweg eine falsche Behauptung ist, dass Aina, an dem einen Tag in der Woche, während des gesamten Unterrichts, angebunden an meinem Tischbein, in ihrem Körbchen liegt. Nur für maximal 20 Minuten gibt es dann „Hundezeit“. Dann aber ist kein Unterricht. Der Vater zuckt die Achseln. Überzeugt habe ich ihn nicht. Beim Heimfahren grüble ich. Sechs Jahre lang gab es nie eine solche Beschwerde. Dabei war Fanny 4 Jahre lang täglich in der Schule, im letzten Jahr waren meine 2 Hunde im Unterricht dabei. Was tue ich, wenn sich solche ungerechtfertigten Beschwerden häufen?
Donnerstag
Aufgeregt werden Aina und ich von der Klasse empfangen. Endlich sind sie dran. Nachdem Fanny dreimal im Fernsehen sowie viele Male in Presse und Rundfunk vorgestellt wurde, kommen sie mit Aina in dei Zeitung. Morgen soll der Reporter kommen. Um 12.30 darf Aina aus dem Körbchen und auf ihren Hundeteppich. Wie die Wilden haben meine Kinder gearbeitet, um viel Zeit für Aina zu haben. Sie möchten unbedingt einmal das Hefte einsammeln ausprobieren. Sie kennen es aus Ainas Buch.
Obwohl Aina diese Übung seit Juli nicht mehr gemacht hat, klappt sie gut. Dann werden alle Tricks und Kommandos wiederholt: „Sag hallo!“, „give me five!“, “sei beleidigt!”, “Balance!, "Slalom!", "Rückwärts einparken!", “Sitz!”, “Platz!”, „Steh!“, „Geh ins Körbchen!“, „Aina, komm mit!“ und "Aina, such!“ Seit 8 Wochen erst kennen sich Aina und die Kinder, das waren nur 8 Unterrichtstage. Und sie harmonieren, dass es kaum zu glauben ist. Ein Kind gibt Sicht- und Wortzeichen, das andere clickert. Echte Teamarbeit ist zu erkennen. Ich stehe nur noch da und staune. So ein Zauber liegt über dem Ganzen, , dass ich sogar das Fotografieren vergesse.
Um 12.50 schicke ich Irfan und Hoang mit Aina in den Schulhof. Die letzten zehn lauten, hektischen Minuten vor Schulschluss möchte ich ihr ersparen. Schon nach wenigen Minuten erscheint Hoang wieder atemlos im Klassenzimmer: „Aina greift Irfan an!“
Es dauert eine kurze Schrecksekunde, bis die Worte in mein Bewusstsein sickern. Dann rase ich die Treppe hinunter, stürze durch die Schultür: Auf dem Hof steht Irfan, sichtbar unter Schock und brüllt wie am Spieß. Vor ihm, in Vorderpfotentiefstellung, laut knurrend und ausgelassen mit dem Schwanz wedelnd, fixiert mein Hund die seltsamen Schuhe vor ihm. Klocks, die er noch nie an einem Kind gesehen hat. Immer wieder versucht Aina, hineinzubeißen. Ich packe sie am Halsband und brülle sie ins Platz.
„Irfan, was ist los?“
„Sie hat mich gebissen!“
Mir ist, als würde eine eisige Hand mein Herz umklammern. Nun ist das passiert, an was zu denken ich mich immer geweigert hatte. Mein ganz persönlicher Super-Gau.
In Sekundenbruchteilen laufen Bilder vor meinem inneren Auge ab: Anzeige der Eltern, die Polizei an der Schule, mein Hund erschossen, die Bildzeitung mit reißerischer Überschrift: „Schulhund beißt Schulkind!“
Während ich mit bebenden Fingern Irfans Hosenbeine hochkremple, (wieso trägt der Kerl eigentlich Mitte November keine Socken?), wird mir mit unerbittlicher Bewusstheit klar: Das ist das Ende. Einmal und damit einmal zuviel, ist es nicht rund gelaufen.
„Irfan, wo?“
„Da!“
Ich suche eine klaffende Wunde, einen blutüberstömten Fuß, finde nichts.
„Wo?“
„Da!“
Eine winzige Hautabschürfung am Fußspann, der schwache Abdruck eines Hundezahns.
Ich befördere Aina ins Auto und gehe mit Irfan, der immer noch weint, ins Klassenzimmer zurück.
Es spricht für meine Klasse, dass sie im Klassenzimmer wartete und kein Chaos ausgebrochen ist.
Ich zeige den Kindern Irfans Fuß. Sie sind verblüfft: man sieht ja nichts. Irfan weint noch immer.
Ich erkläre den Kindern, dass Aina – aus Versehen – Irfan wirklich mit den Zähnen erwischt hat und dass sogar ein einziger Hundezahn - ich weiß es aus Erfahrung – sehr weh tun kann.
Meine Gedanken überschlagen sich:
Was wird geschehen? Meine überkritischen Eltern werden mit Sicherheit Sturm laufen, sich beim Schulamt beschweren. Ich werde gezwungen werden, mein Schulhundprojekt aufzugeben.
Soll es so enden? Nein!
Lieber entscheide ich.
Tief atme ich durch.„Ab morgen wird es keine Aina mehr in der Schule geben.“ Es gongt.
Betäubt sitzen meine Kinder da. Mit den Worten: „Morgen reden wir darüber“, entlasse ich sie und mache mich schweren Herzens auf den Weg ins Rektorat.
Weinend fahre ich heim. Aina, im Kofferraum, sitzt da und schaut zu mir, fast, als würde sie wissen, was sie angestellt hat.
Zuhause entferne ich den Schulhundaufkleber von meinem Auto. Es tut weh. Dann rufe ich die Zeitung an, sage den Termin für morgen ab. Mit klopfendem Herzen wähle ich Irfans Nummer. Seine Mutter ist am Telefon. Während ich noch mit zitternder Stimme nach den richtigen Worten suche, unterbricht sie mich: „Irfan hat sich schon beruhigt. Es geht ihm gut. Aina wollte doch nur mit ihm spielen. Es ist ja nichts passiert.“ Langsam erhole ich mich ein bisschen von meinem Schock.
Freitag Irfan kommt lachend ins Klassenzimmer. „Wie geht’s dir?“ „Alles okay!“ Meine Kinder und ich halten Besprechung. Wir rekapitulieren den Vorfall. Irfan erzählt, dass er mit seinen Klocks einen Stein weggekickt hat. Das war der Schlüsselreiz für Aina. Ich wiederhole meinen Entschluss, dass Aina kein Schulhund mehr ist. Irfan protestiert. „Ich möchte, dass Aina wiederkommt. Sie wollte doch nur spielen!“ „Aber sie hat dir Angst gemacht“, sage ich. „Das möchte ich nicht. Und ich habe gemerkt, wie schnell etwas passieren kann. Das Ganze ist mir zu riskant. Und auch zu stressig. Ich werde in Zukunft immer Angst haben, dass so etwas wieder passiert. Aina wird nicht mehr in die Schule kommen.“ Ich sehe in 18 todtraurige Gesichter. In Sekundenbruchteilen treffe ich eine Entscheidung. Ich möchte den Kindern nicht ganz die Hoffnung nehmen. Und ich möchte auch nicht alle Brücken hinter mir abbrechen. Und so erkläre ich den Kindern, dass wir in der 4. Klasse noch einmal überlegen können, ob es wieder einen Schulhund gibt. „Dann“, sage ich, „wird Aina wieder ein Jahr älter und vernünftiger und auch ihr schon größer sein.“ Ein tiefes Ausatmen ist zu hören.
Eine Woche später
Nach dem Unterricht hole ich Aina von der Huta ab, in der ich Gott sei Dank einen Platz für sie bekommen habe. Dann fahre ich noch mal zur Schule. Irfan wartet. Ich möchte, dass seine Erinnerung an Aina nicht von Angst überschattet wird. Irfan setzt sich zu Aina in den Kofferraum, streichelt sie zögernd. Aber er hält respektvoll Abstand. Der Schock sitzt tief.
Zwei Wochen später
An unserer Schultür hängt wieder das Schild, das ich vor sechs Jahren entfernt habe: „Hunde müssen draußen bleiben“ Als wir in der Leseschiene „Schnupperpraktikum“ lesen, meint ein Kind. „Gott sei Dank gibt es Ainas Buch. So ist es fast so, als wär sie noch bei uns.“ Die Kinder reden oft von ihr.
Eine Kollegin fragt mich in der Pause, wie es mir ohne Schulhund geht. „Gut!“, sage ich und spüre nach. Es stimmt.
Dann tritt unsere Sozialarbeiterin auf mich zu. „Du sag mal“, sagt sie,“stimmt das wirklich? Im Hort wird erzählt, dass dein Hund einen Jungen angesprungen und niedergerissen hat. Dann stand er über ihm und wollte ihm an die Kehle.“
Gedanken zum Abschied
Mit meiner Schultasche, aber ohne Hund an der Leine, betrete ich das Schulhaus. Viele Kinder fragen mich: "Wo hast du denn die Fanny? Wo ist die Aina?"
Auf dem Weg in mein Klassenzimmer überleg ich: "Hab ich zu vorschnell reagiert?" Es ist ja sehr glimpflich ausgegangen. Aber tief im Herzen weiß ich, dass meine Lockerheit und mein Optimismus dahin sind. Locker, blauäugig und grenzenlos begeistert wollte und bin ich den Weg gegangen, den mir Bernd Retzlaff und seine Jule gezeigt hatten. Sechs wunderbare Jahre habe ich als Schulhundlerin erlebt und die unzähligen innigen Momente zwischen meinen Hunden und meinen Schulkindern bewahre ich wie einen kostbaren Schatz. Zutiefst bewundere und liebe ich meine Hunde, für das, was sie geleistet haben, danke all jenen, die mich auf diesem Weg unterstützt haben. Aber locker werd ich nach dem, was passiert ist, nie mehr sein können.
Und: Nach drei Wochen ohnen Schulhund empfinde ich es durchaus als wohltuend, den Spagat zwischen den Bedürfnissen des Hundes, den Wünschen der Kinder, den Erwartungen der Eltern und der Zeit, die mir zur Verfügung steht, nicht mehr leisten zu müssen. Wir Lehrer gehen - zumindest ich empfinde das so - oft genug an die Grenzen unserer Belastbarkeit. Eine Last ist jetzt weniger.
Ob ich jemals wieder einen Schulhund führen werde?
Das wird die Zukunft zeigen.
Dem Schulhundweb werde ich immer verbunden bleiben. Viel zu sehr hängt mein Herz daran.
Euch und euren tollen Hunden alles Gute
Inge Rösl